Von Einer die auszog, 24 Stunden zu wandern …

… und der ein Anfängerfehler zum Verhängnis wurde.

Samstag, 2. Mai, Es geht los …

Als ich am Startpunkt ankam herrschte bereits reges Treiben in und vor der Turnhalle. Schließlich waren nicht nur wir Blogger von der Partie. Wenn ich mich recht erinnere hatten sich um die 160 Wanderer für diese 24-Stunden Wanderung angemeldet. Und wie professionell die alle ausschauten… Etwas unsicher war ich dann doch, denn mein Training im Vorfeld war mehr als dürftig. Naja, ich war hier und jetzt wollte ich es wissen. Den Anspruch, die ganzen 80 Kilometer zu schaffen hatte ich nicht. Mein Ziel war es, eine Grenzerfahrung zu machen, die meinem Körper nicht schadet. Ich mag es, diszipliniert zu sein, mich an körperliche Grenzen zu bringen und ich genieße es, wenn Körper und Geist dabei im Einklang sind. Was ich nicht tun wollte war, mich zu geißeln oder zu quälen. Diese mentale Einstimmung am frühen Morgen tat mir gut und so machte ich mich ohne Zielvorgabe mit den anderen auf den Weg.

Das Tempo war mir schon zu Beginn viel zu schnell. Wie sollte ich denn bei diesem Tempo fotografieren und die Landschaft genießen? Nun denn, ich fotografierte dennoch und plauderte mit anderen Wanderern. Und so landete ich recht schnell im hinteren Drittel, zusammen mit der lieben Reisemeisterei und Elke. Mir war das völlig egal, denn ich wollte so viel wie möglich von der Region mitbekommen. Mein erster Gesprächspartner war Jürgen aus Rüdesheim, der zum ersten Mal an diesem 24-Stunden-Wandermarathon am Moselsteig dabei war. Jürgens Aufdruck auf seinem Shirt weckte mein Interesse: „320 Kilometer, 10.000 Höhenmeter“. Bisher habe er immer am Rheinsteig-Ultra teilgenommen, erklärte er mir und meinte selbstsicher: „Ich werde die gesamte Strecke laufen, das ist ja schließlich nicht meine erste 24-Stunden-Wanderung“. Da war er wieder, mein Respekt vor den trainierten Wanderern.

Ballast abwerfen …

Es geht eine zeitlang an der Mosel entlang, bei schönstem Sonnenschein. Doch so richtig genießen konnte ich das Ganze noch nicht. Meine Prüfung saß mir im Nacken. Sollte ich jetzt schon mein Lernzeugs rausholen? Alles in mir sträubte sich gegen diesen Gedanken. So haderte ich noch ein Weilchen vor mich hin, bis ich einen steilen Anstieg bewältigen musste. Eigentlich kein Problem für mich. Eigentlich. Im Kopf ging ich ein paar Prüfungsthemen durch und mein Körper kämpfte sich die Steigung hinauf. Meine Güte, war ich unausgeglichen! Das war nicht „Wandern mit allen Sinnen“, das war ein Kampf gegen mich selbst. Ich blickte zurück, sah Elke in ihrem eigenen Tempo die Anhöhe in Angriff nehmen und verbannte endlich diese verflixte Prüfungsangst aus meinem Kopf. Da war sie wieder, die vertraute „Körper-Geist-Balance“, die mir die ganze Zeit fehlte. Als ob ich einen Zaubertrank geschluckt hätte jagte ich den Hügel hinauf. War das ein befreiendes Gefühl. Erst Stunden später dachte ich wieder ans Lernen, aber auch nur für eine kurze Zeit. Ich war hier zum Wandern und zu sonst nichts.

Genießen mit allen Sinnen

Oben auf der Höhe angekommen erwarteten mich tolle Ausblicke auf die Mosel und das Tal. Es war traumhaft. Meine Wahrnehmungen waren das reinste Feuerwerk. Und von Erschöpfung war nicht die leiseste Spur. Noch nicht. Ich hatte ja auch erst 5 Kilometer hinter mir. Vor mir lagen noch knapp 35!

Was mich sehr faszinierte war der Blick hinunter auf die Mosel. Bisher bin ich ja hauptsächlich im Pfälzerwald unterwegs gewesen, mit Ausblicken auf Burgen, Felsen und Ruinen oder auch mal in der flachen Pfälzer Rheinebene. Diese Kombination aus Höhe und den Schleifen der Mosel im Tal fand ich so grandios, dass dies mit Sicherheit nicht mein letzter Ausflug an die Mosel war. Als Pfälzerin ist mir ja die Weinbergkultur vertraut. Auch wenn die Weinlagen momentan noch recht kahl sind, kann ich mir gut vorstellen, wie diese Region im Spätjahr aussehen wird, wenn die ganzen Rebstöcke zu einem Farbenrausch werden.

Aua, meine Zehen!

Nun aber zurück zum Wandermarathon … Mittlerweile hatte ich etwa die Hälfte hinter mir und meine Füße schmerzten oder besser gesagt: meine Zehen! An der 5. Verpflegungsstation musste ich einfach mal sitzen und die Schuhe ausziehen. Blasen hatte ich keine, ich wandere ja immer in Anti-Blasen-Socken. Es waren die Zehenspitzen, die ziemlich übel schmerzten. Keine Ahnung woran das lag, ich hatte mir ja extra vorher noch die Zehnägel geschnitten. Erfahrene Wanderer schmunzeln jetzt an dieser Stelle, denn sie wissen, dass dies ein ganz großer Fehler ist! Tzia, ich gebe es zu, ich habe diesen Anfängerfehler gemacht und mir schön die Zehnägel gestutzt. DAS mache ich ganz bestimmt NIE WIEDER! Autsch.

Aus Zeitmangel hatte ich mir die Streckenführung vorher nicht wirklich angesehen. Ich vertraute einfach den Wanderern vor mir und folgte ihnen schön brav hinterher. Auch das war ein Fehler! Denn selbst die Meute kann sich mal irren. Ein schmerzhafter Kilometer – oder waren es nur 100 Meter? – quer den Berg hinauf zurück auf den Weg, das tat richtig weh. Auf meiner Das-mache-ich-bestimmt-nie-wieder-Liste machte ich in Gedanken einen Haken bei „Sich nicht mit der Wegführung vertraut machen“. Wenigstens hatte ich Waldboden unter den Füßen.

Weinbergbekanntschaften

Mitten im Weinberg machte ich die Bekanntschaft mit Ewald aus Salmtal und seinem Wanderkumpel. Die beiden haben sich letztes Jahr auf dieser 24-Stunden-Wanderung kennengelernt und sich dann aus den Augen verloren. Heute hatten sie sich zufällig wieder getroffen. Der Hammer! Zu dritt schnauften wir querfeldein den Berg hoch und freuten uns, als wir wieder auf der richtigen Spur waren. Die folgenden 5 Kilometer liefen wir gemeinsam. Was für ein Glück kann ich nur sagen, denn Ewald war ein wandelndes Lexikon. So kam es, dass ich auf dem langen Weg zur Paulskirche Lieser Privatunterricht in Moselkunde erhielt…

„Diese Region … Teil des Rheinischen Schiefergebirges … an die 300 Millionen Jahre alt …“ Ich war eine gelehrige Schülerin und schämte mich ein bisschen, dass ich so wenig über diese Region wusste. „Wir befinden uns hier in einer Moselmäander oder lass es uns das Ursprungstal der Mosel nennen …“ Ich erfuhr einiges über die Verschiebung der tektonischen Platten und wie die Mosel deswegen über Jahrmillionen mehrmals ihren Lauf änderte. Und, dass es auf dem Berg oberhalb der Paulskirche ein unterirdisches, römisches Auffangbecken gibt. Wenn ich Ewald richtig verstanden habe, fließt durch eine uralte Sandsteinrinne Wasser dort hinein und dann weiter bis zur Paulskirche. Dieses Wasser wird von den Winzern genutzt für ihre Arbeit in den Weinbergen. Plötzlich zupfte Ewald am Wegesrand ein paar Pflanzen ab und gab sie mir zu essen. Er war nicht nur ein Lexikon in Moselgeschichte, sondern auch in Heilkräuterkunde. Ich wurde verkostet mit Brennesselblättern, Knoblauchsrauke, Löwenzahnblüten – Er so: „Probier mal, das ist gut für die Galle!“ Ich so: „Gib her das Zeug!“ – Wiesen-Schaumkraut und süßlich schmeckenden, violetten Taubnesselblüten. Danke Ewald, dass du dich um meine Gesundheit gekümmert hast!

Nur noch 6 Kilometer!

Die letzte Beton-Schleife zur Paulskirche schenkte ich mir und folgte einem Paar quer durch den Wingert – der Füße zuliebe. Als ich an der Kirche ankam, war gerade ein Winzer dabei, seinen Wassertank mit dem Bergwasser zu füllen. Ich nickte ihm wissend zu. Die Versorgungs- und Stempelstelle Paulskirche war erreicht. Zur Belohnung gab es leckeres Schmalzbrot. Mehrere ;-) Ein junger Wanderer saß mit schmerzerfülltem Gesicht auf einer Bank und betrachtete seine, mit Blasen übersäten Füße. Der Arme. Ich hatte ja NUR Zehenschmerzen. Er erzählte mir, dass er zum ersten Mal eine größere Strecke wanderte und eigentlich keinen Schritt mehr gehen wollte. Ich klopfe ihm anerkennend auf die Schulter, quasi als aufmunternde Geste. Für mich ging es wieder alleine weiter. Ewald hatte ich aus den Augen verloren.

Auf den letzten 5 Kilometern bin ich doch glatt an einer Versorgungsstation vorbeigelaufen! Keine Ahnung wo die war, irgendwo im Kurpark. Ich hatte es ja nicht nötig auf den Plan zu schauen. Das war dann Pech, denn das schöne Lagerfeuer ist mir somit entgangen. Überhaupt bin ich diese letzten Kilometer etwas panisch geworden, da ich weit und breit keine Wanderer mehr sehen konnte – und auch keine Markierungen. Oder war ich wieder mal blind dran vorbeigelaufen als ich gerade am Twittern war? Die erste Nachricht von Karin erreicht mich: „Wo bist du denn? Du müsstest doch schon längst da sein!“ Oh Jesses, wo war ich nur? Ich hatte keine Ahnung und quatsche einen Jugendlichen an: „Hey, sag mal, kannst du mir sagen wo ich bin?“ Der guckte mich an als ob ich gestört wäre und lief leicht irritiert weiter. Okay, Handy raus, Karten-App und Ortungsdienste an. Uff, das Ziel war nah und ich hatte mich erstaunlicherweise nicht verlaufen. Meldung zurück: „Ich bin gleich da!“ Das „Gleich“ dauerte dann noch eine halbe Stunde.

Geschafft – Jetzt erst mal Nudeln!

Nach ca. 40 Kilometern und 9 Stunden-Marsch kam ich mit einem mords Hunger und schmerzenden Füßen an der Turnhalle an. Magnus kam mir entgegen, frisch und geschmeidigen Ganges. „Hallo Daniela, na, alles klar? Ich mache mich jetzt auf zur dritten Schleife!“ Bääm. Magnus, du bist echt der Hammer!
Es gab Nudeln und ich war glücklich und stolz auf mich, auf Magnus und auf alle Wanderer, die sich dieser Herausforderung gestellt hatten. Doch für mich war eindeutig klar, dass ich keinen Schritt mehr mit diesen Zehen laufen konnte. Und so beschloss ich vernünftig zu sein und gab auf. So endete mein erster Wandermarathon in netter Gesellschaft und mit einem positiven Gefühl.

Vielen Dank an die Organisatoren, die wirklich eine klasse Veranstaltung auf die Beine gestellt haben. Danke, dass ich dabei sein durfte. Es war ein tolles Abenteuer an der Mosel und bestimmt nicht mein letztes!

Danke Karin, für das Foto!

Alle wichtigen Infos zum Moselsteig findet ihr hier:
Moselsteig – Dein Weg, mehr zu erleben