Wanderung auf dem Nahesteig

Der Hunsrück war für mich eine völlig unbekannte Wanderregion. Im Juni durfte ich auf Einladung der Tourist-Information des Birkenfelder Lands eine Wanderpauschale zum neu zertifizierten Premiumwanderweg Nahesteig testen. Es gibt insgesamt drei Pauschalangebote mit unterschiedlichen Arrangements, die man am Nahesteig buchen kann. Mein Gastgeber für zwei Nächte war das Hotel Vicinity in Hoppstädten-Weiersbach. Dort begann mein Wanderurlaub an der Nahe.

Picknickbeutel

Zur Unterstützung der regionalen Gastronomen in Corona-Zeiten gibt es acht Servicestationen entlang des Nahesteigs, zu denen sich Wanderer ein Picknick liefern lassen können. So braucht man sich im Urlaub morgens keine Brote schmieren, sondern man bestellt bei den Betrieben vor Ort einfach ein leckeres Picknick und lässt es sich an eine solche Servicestation liefern. Brötchen, Burger, Käsespieße, leckere Dips und vieles mehr stehen auf den Speiseplänen der Gastronomen. Die Servicestationen erkennt man den roten Nahesteig-Picknickbeuteln, die beispielsweise an Holzpfosten angebracht sind. Eine schöne Idee und ein toller Service obendrein.

Nahesteig Etappe 1: von Neubrücke nach Nohen

Am Bahnhof von Neubrücke startete ich die erste Etappe des Nahesteigs. Etwa 16 Kilometer lagen vor mir und ich freute mich darauf, die mir unbekannte Wanderwelt an der Nahe kennenzulernen. Vom Wanderparkplatz zwischen Neubrücke und Hoppstädten aus leitete mich die Wegmarkierung des Nahesteigs von der Straße weg, hinein in die Natur. Da, der Schatten eines Vogels tauchte plötzlich vor meinen Füßen auf. Mir stockte für einen Moment der Atem: Ein Roter Milan glitt im Tiefflug über mich hinweg. Wie angewurzelt blieb ich stehen und beobachtete seinen Flug. So nah hatte ich diesen prachtvollen Vogel noch nie gesehen. Beeindruckt setzte ich meinen Weg fort.

Corona-Trägheit

Meine Güte, war ich träge. Während der Corona-Beschränkungen habe ich mich einfach zu wenig bewegt. Nun kämpfte ich ein wenig gegen meine antrainierte Faulheit an. Ein weiterer Grund dafür, dass ich mich auf die bevorstehenden Wandertage freute. Endlich wieder unterwegs, endlich wieder etwas Neues entdecken, endlich wieder mehr Bewegung. Und endlich wieder ein Gefühl von Unbeschwertheit.

Gewässer-Erlebnispfad Obere Nahe

Unterhalb eines Viadukts wurde ich über Trittsteine durch den Steinaubach geleitet. Faszinierende Wegführung – das gefiel mir. Ab hier folgt der Nahesteig dem Gewässer-Erlebnispfad Obere Nahe durch eine duftende Wiesenlandschaft. Lehrreiche und liebevoll gestaltete Stationen am Wegesrand geben Aufschluss über die Pflanzen- und Tierwelt der unmittelbaren Umgebung. Dieser Teil des Weges ist geschottert, daher lief ich lieber auf dem Gras am Wegesrand.

Panoramablick auf die Kirchenmühle von Bleiderdingen

Warmer Sommerwind strich über die Wiesen, trug Vogelgezwitscher und das Flüstern der Blätter mit sich und übertönte die Industriegeräusche, die noch aus der Ferne vernehmbar waren. Ich hörte nur den Wind und spürte, wie ich ruhiger wurde und Schritt für Schritt in der Natur ankam. Direkt an der Nahe gelangte ich an einen Rastplatz, mit freier Sicht auf die gegenüberliegende Kirchenmühle von Bleiderdingen. Nachweislich erwähnt wurde die Mühle, die sich in Privatbesitz befindet, zum ersten Mal im Jahr 1646. Ein gefälliges Panorama, das man auf einer Wellnessbank liegend betrachten kann. Mein Wanderurlaub an der Nahe fühlte sich jetzt schon richtig gut an.

Erneut durchquerte ich ein Fließgewässer über Trittsteine. Abenteuerlich, diese Flussüberquerungen. Bei Hochwasser sind sie allerdings nicht möglich. Für diesen Fall ist eine alternative Wegführung ausgeschildert. Nachdem ich die Pfarrkirche St. Markus in Bleiderdingen passiert hatte, leitete mich die Wegmarkierung an der Hütte „Weinlaube“ vorbei, in den Wald hinein. Auf einem schmalen Waldpfad wanderte ich nun durch Laubwald. Links unter mir konnte ich die Nahe sehen, die sich in gemütlichen Schleifen durchs Tal schlängelte. Die totale Stille hatte ich noch nicht empfunden, ich hörte immer noch Fremdgeräusche aus der Ferne. Dennoch ließ ich mich auf den Weg ein und war bereit dazu, alles anzunehmen was kommen würde.

Keltischer Baumkreis

Gierig inhalierte ich den Waldduft, der sich in der beginnenden Wärme des Tages langsam entfaltete. Nach kurzer Wanderzeit erreichte ich den Keltischen Baumkreis mit der ersten Servicestation, an der ich mir meinen ersten Stempel ins Stempelheft drückte.

Der Keltische Baumkreis ist eine Art Baumhoroskop. Laut Beschreibung auf der Informationstafel, ist der Baum in nahezu jeder Kultur auf der Erde ein Ursymbol für verschiedene Charaktere. Zwölf verschiedene Baumsorten wurden in einem großen Kreis um das überschaubare Gelände gepflanzt. Jedem Baum ist eine Geburtswoche zugeordnet. An den Bäumen sind kleine Tafeln angebracht, die Aufschluss geben über den Charakter des Baumes und des, laut Geburtstag dazu passenden Menschen. Auf mich strahlte dieser Ort eine angenehme Ruhe aus, die ich genau in diesem Moment brauchte. Umgeben von den aussagekräftigen Bäumen ließ ich die Umgebung auf mich wirken. Mit geschlossenen Augen lauschte ich und hörte die Unterschiede im Rascheln der Blätter. Eine schöne Erfahrung war das.

Der Keltische Baumkreis

Der Keltische Baumkreis ist auch eine Art Keltisches Baumhoroskop. Zwölf verschiedene Baumtypen stehen für verschiedene Charaktere der Menschen. 

Die Servicestation Keltischer Baumkreis

Acht Service- bzw. Stempelstationen gibt es entlang des Nahesteigs. An jeder Station befindet sich ein Holzkasten mit innenliegendem Stempel und Erste-Hilfe-Verbandmaterial.

Wo ist die Altburg?

Wieder auf dem Weg fiel mir ein Hinweisschild auf, das auf dem sogenannten Sirona-Weg zu einer Keltischen Altburg führte, ein Abstecher von ca. 300 Metern. Der steile Anstieg lohnte sich nicht wirklich. Von der Altburg war praktisch nichts mehr zu sehen, außer, zu einem Wall aufgeschichtete Steine und einem Holzkreuz. Hier hätte ich mir etwas mehr „Führung“ gewünscht. Es gab nur eine Informationstafel, aber ansonsten keine Hinweise oder Markierungen.

Urwaldgefühl an der Nahe

Zurück auf dem Nahesteig folgte ich einem schmalen Pfad durch wundervoll verwunschenen Wald. Stellenweise war der Untergrund etwas steinig. Nun kam der Steigcharakter durch. Es folgte eine sehr schöne Passage, die mir bis heute im Gedächtnis geblieben ist. Links unter mir rauschte die Nahe, vor mir schlängelte sich der Pfad in leichtem Anstieg den Berg hinauf. Die Bäume rechts und links waren so schief gewachsen, dass sie eine Art Bogen über dem Weg bildeten. Dann, nach einer Kurve, stand ich plötzlich vor einer riesengroßen Felsenwand aus Schiefergestein. Eine traumhafte Szenerie und abenteuerliche Wegführung, die mich von der Nahe weg auf die andere Seite des Felsmassivs leitete. Ich fand mich in einem Urwald wieder. Vor mir plätscherte gemütlich ein Bach. Die Natur um mich herum war ursprünglich und wild. Und zum ersten Mal hörte ich nur die Natur, keine sonstigen Störgeräusche.

Bezaubernde Auenlandschaft

Über den historischen Kirchenpfad wanderte ich im weiteren Verlauf auf naturnahen Wegen und Pfaden durch bezaubernde Wald- und Auenlandschaften. Kaum passierte ich einen Wiesenabschnitt, war ich umringt von Schmetterlingen. Dieser stetige Wechsel von Wald und Wiese tat meiner Seele unglaublich gut. So viele Schmetterlinge hatte ich schon lange nicht mehr gesehen. Überall flatterte es. Ich war in einem Insektenparadies gelandet und konnte mich nur schwer wieder davon losreißen. Das Kind in mir wollte entdecken, beobachten und fotografieren. Sind das nicht die schönsten Momente auf einer Wanderung, wenn man dem kindlichen Spieltrieb Raum geben kann? Mit einem glückseligen Lächeln im Gesicht setzte ich meine Wanderung mit gemächlichen Schritten fort.

Schuhe im Himmel

Nachdem ich eine Straße überquert hatte, ging es noch einmal zackig bergauf. Doof nur, dass der Weg hier grob geschottert war, das machte den Aufstieg für mich recht mühsam. Am Ende des Anstiegs gelangte ich aus dem Wald heraus und wanderte auf einem Landweg durch eine weitläufige Wiesenlandschaft. Ein Abzweig führte mich zu einem Ruheplatz, der noch im Entstehen war. Was sahen meine Augen da? Über einer Stromleitung hingen ein Paar Schuhe und baumelten im Wind. Das sah skurril aus und irgendwie unwirklich.

Eisenbahner Glück

Der Wegeverlauf blieb spannend und abwechslungsreich: mystisch gespenstischer Nadelwald, mit Moos überwachsenes Totholz und kleine Wieseninseln mit Schmetterlingsgeflatter. Am Aussichtspunkt „Eisenbahner-Glück“ durfte ich mir wieder einen Stempel in meinen Wanderpass drücken. Ein roter Picknickbeutel baumelte an einem Pfosten und markierte somit eine Servicestation. Witzig fand ich die Holzschilder, auf die unterschiedliche „#Hashtags“ gedruckt waren. Mein Favorit war #Wanderheldin. Noch ein tiefer Blick ins Tal und weiter ging’s.

Einatmen, ausatmen, loslassen

Von hier wand sich ein sehr schöner, schmaler Waldpfad den Berg hinab, durch ein malerisches Wäldchen. Es war ein schönes Gefühl, wieder weichen Waldboden unter den Füßen zu spüren. Fast war ich enttäuscht, als der Pfad wieder auf die Straße traf und ich auf einem Asphaltweg durch ein Wiesengelände marschierte. Als wahre Seelenschmeichler entpuppten sich jedoch unglaublich viele Blumen am Wegesrand. Pfeif auf den Weg, ich war entzückt. Tief einatmen, ausatmen und loslassen.

Wildwasserparadies an der Nahe

Wieder zurück im Wald wanderte ich auf angenehm weichem Grund durch niedrig ausgetriebenen Buchenwald. In der Ferne nahm ich Wasserrauschen wahr. Das Ufer der Nahe war nicht mehr weit. Oberhalb des Ufers entdeckte ich, etwas versteckt gelegen eine Wellnessliege. Welch schöne Überraschung und was für ein wunderschöner, energetischer Platz. Abenteuerlich schlängelte sich der Weg durch wilde Natur, am Lauf der Nahe entlang. Ein atemberaubendes Wildwasserparadies offenbarte sich mir. Befestigte Drahtseile halfen mir an steilen Passagen beim Auf- und Abstieg.

Wanderurlaub an der Nahe: Nohener Traumschleife

Der Nahesteig verläuft hier ein Stück auf der Nohener Traumschleife, die diesen Namen zu Recht trägt. Idyllisch windet sich der Pfad am Gewässer entlang. An der Nahe-Insel machte ich Halt, denn das Wasser war zu verlockend. Schuhe aus und rein mit den Füßen. Herrlich erfrischend so ein Fußbad im kühlen Fluss. Danach fühlte ich mich wie neugeboren.

Rastplatz der Schmetterlinge

Kaum entfernte ich mich vom Wasser fand ich mich erneut in einer Wiesenidylle wieder. Was für ein Weg! Ich wanderte von einem Seelenmoment zum nächsten. Links von mir hörte ich das leise Plätschern des Flusses, rechts von mir wuchs riesiger Bärenklau in die Höhe. Auf der einen Seite bewunderte ich die geschäftige Insektenwelt, auf der anderen Seite ließen düstere Fichten ihre gebogenen Äste bis knapp über die Wasseroberfläche der Nahe hängen. Gedankenverloren und von der Umgebung verzaubert wanderte ich im Schlendergang durch die Wiesen und unter einem Viadukt hindurch.

Plötzlich, aus dem Augenwinkel sah ich etwas Weißes flattern. Ein schmaler Fußpfad führte hinunter ans Flussufer. Neugierig geworden folgte ich dem Pfad und näherte mich dem Flussufer, zu der Stelle, an der ich das Flattern bemerkt hatte. Ich traute meinen Augen kaum. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Unzählige Schmetterlinge saßen am Ufer und klappten ihre Flügel auf und zu. Kohlweißlinge, ein Tagpfauenauge und kleinere, orangefarbene Falter saßen beisammen oder flatterten umher. Hier musste ein besonders nahrhafter Platz sein, dass sich die Schmetterlinge dort zur Rast niederließen. Ach, war das ein zauberhafter Augenblick. Eine ganze Weile lag ich dort im Gras versteckt und beobachtete das muntere Flattern.

Waldweinstube

Zurück im Wald führte mich der Weg stetig bergauf. Oben auf dem Kammweg angekommen fand ich mich in einem wild gewachsenen Eichenwald wieder und erreichte den Aussichtspunkt Felsenklipp. Von dort bot sich ein weiter Blick über die Erhebungen des Hunsrücks. Ein Waldsofa verleitete mich zu einer kurzen Ruhepause.

Auf dem Bergkamm wanderte ich weiter durch einen zwergenhaften, jungen Buchenwald. Nach einem steilen Anstieg erreichte ich den Weinschrank, ein Rastplatz mit Stempel- und Picknickbeutelstation. Tatsächlich gibt es hier einen Holzschrank, der mit Wein gefüllt ist. Gegen ein kleines Entgelt darf man sich hieraus bedienen. Mehrere Holztische und -bänke bieten reichlich Platz für eine Einkehr und ich hatte das Gefühl, in einer Wald-Vinothek zu sein.

Das Kriegerdenkmal von Nohen

Wenige Wanderminuten später befand ich mich auf einer Wiese und inhalierte den leckeren Duft des frisch gemähten Grases. Noch etwa zwei Kilometer trennten mich von meinem ersten Etappenziel. Mit den vielen bisher gemachten Erlebnissen im Kopf wanderte ich über Wiesen und durch mystischen Mischwald.

Gänzlich unerwartet führte mich die Wegmarkierung noch einmal hinunter ans Wasser, in eine Art Schlucht. Angenehme Kühle umgab mich. Den Bachlauf musste ich überqueren und war gar nicht begeistert, als ich feststellte, dass ich gleich darauf noch einmal bergauf musste. Ein schmaler Weg schlängelte sich den Hang hinauf. Zu meinem Glück war diese Passage gar nicht so lang wie ich erst befürchtete. In sanftem Abstieg gelangte ich zum Kriegerdenkmal oberhalb von Nohen. Ein schöner Ausblick auf Nohen und die umliegende Berglandschaft war die Belohnung der letzten Mühen. Vom Denkmal aus gelang ich in rasantem Abstieg hinunter in den Ort, dem Endpunkt der ersten Etappe auf dem Nahesteig.

Nachspüren

So ging der erste Tag meines Wanderurlaubs an der Nahe erlebnisreich zu Ende und meine Vorfreude auf den noch folgenden Wandertag war entsprechend groß. Der Weg hatte mich sehr überrascht. Noch während des Einschlafens liefen die schönsten Eindrücke des Tages wie eine Diashow vor meinem geistigen Auge ab. Und mein Duftgedächtnis erinnerte sich an das unbeschreibliche Wiesenaroma. Es gibt wohl kein wirkungsvolleres Schlafmittel als einen ganzen Tag draußen in der Natur zu sein.

Ein steinernes Kriegerdenkmal oberhalb von Nohen

Zur Geschichte des Nohener Kriegerdenkmals: Im 30-jährigen Krieg flüchtete Herzog Bernhard von Weimar vor dem weit überlegenen Heer des damaligen Kaisers Gallas. Der Rückzug erfolgte durch den Nohener Engpass „Die Hohl“, über den beschwerlichen Bronzeweg hinunter zur Nahebrücke, womit dem Heer letztendlich die Flucht gelang. An dieses historische Ereignis erinnert ein alter Gedenkstein.

Mein Wanderurlaub an der Nahe und auf dem Nahesteig wurde unterstützt von der Tourist-Information des Birkenfelder Lands. Vielen Dank an dieser Stelle für die tolle Betreuung. Meine Berichterstattung hat das in keiner Weise beeinflusst. Ich behalte mir vor, ehrlich und authentisch über meine Wanderungen zu berichten.